Wer hier lebt, soll mit entscheiden können - Wahlrecht für alle Hamburgerinnen und Hamburger endlich durchsetzen

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In Hamburg sind mehr als 500.000 Menschen zu Hause, die eine Einwanderungsgeschichte erzählen können. Fast jedes zweite Kind in Hamburg hat einen Migrationshintergrund. Diese Menschen prägen das gesellschaftliche Leben in allen Bereichen mit, werden jedoch in vielfältiger Weise diskriminiert und somit daran gehindert, in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichberechtigt zu partizipieren.

In Hamburg sind mehr als 500.000 Menschen zu Hause, die eine Einwanderungsgeschichte erzählen können. Fast jedes zweite Kind in Hamburg hat einen Migrationshintergrund. Diese Menschen prägen das gesellschaftliche Leben in allen Bereichen mit, werden jedoch in vielfältiger Weise diskriminiert und somit daran gehindert, in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichberechtigt zu partizipieren.
Die demokratische Teilhabe und Partizipation aller Menschen an der Gestaltung des Gemeinwesens ist für die Etablierung einer gleichberechtigten Gesellschaft von sehr großer Bedeutung. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist das Recht wählen zu können. Wahlrecht für alle ist eine wesentliche Voraussetzung für politische Teilhabe und damit auch für eine politische Verantwortlichkeit in unserer Stadt.
Weil in Deutschland das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gebunden ist, durften an den letzten Bezirkswahlen etwa 18.000 volljährige Hamburgerinnen und Hamburger mit Wohnsitz im Bezirk Hamburg-Nord nicht teilnehmen. Von den kommenden Bürgerschaftswahlen am 15. Februar werden wieder 230.000 Hamburgerinnen und Hamburger ausgeschlossen. Eine Gesellschaft, die große Teile der Bevölkerung von der politischen Willensbildung durch Wahlen ausschließt, verliert zunehmend an demokratischer Legitimation. Die Tatsache, dass Menschen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit wesentliche politische Rechte verwehrt werden, die zum Teil seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in diesem Land haben und sämtliche staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, ist in einer Demokratie nicht länger hinnehmbar.
Die gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen und die geänderte Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in Deutschland erfordern eine Änderung des demokratischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland und eine Öffnung der Wahlgesetze, um allen dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen die gleichberechtigte Teilnahme am politischen Leben zu ermöglichen. Ein Verweis auf die Möglichkeit einer Einbürgerung genügt nicht, um den grundlegenden demokratischen Prinzipien der Gleichheit und politischen Partizipation umfassend zur Durchsetzung zu verhelfen, da aus unterschiedlichen Gründen nicht alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben können oder wollen. Die Zahl der in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen ohne politische Mitbestimmungsrechte hat sich trotz der Möglichkeit einer Einbürgerung in den letzten 25 Jahren nicht verringert.
Das kommunale Wahlrecht für alle ist seit langem ein Stück europäische Normalität: In 16 EU-Ländern haben auch Nicht-EU-Bürger das aktive und passive kommunale Wahlrecht. Verglichen mit anderen europäischen Ländern, weist Deutschland in diesem Punkt ein erhebliches Demokratiedefizit auf. Der Europarat hat bereits 2008 die Empfehlung an alle Mitgliedsstaaten ausgesprochen, Migrantinnen und Migranten mit einer legalen Aufenthaltsdauer von 5 Jahren das aktive und passive Wahlrecht zumindest auf kommunaler Ebene zu erteilen.
Die Forderung nach allgemeinen Wahlen aus Artikel 38 Absatz 1 GG hat „von Hause aus einen dynamischen Charakter (Meyer, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., Bd. III, § 46, Rn. 2). Sie gebietet zwar nicht die Einbeziehung von Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, schließt sie umgekehrt aber auch nicht aus. Nichts anderes kann für Artikel 20 Absatz 2 GG gelten. Durch ihn wird die Bundesrepublik Deutschland zwar auf den Grundsatz der Volkssouveränität festgelegt, nicht jedoch auf einen Nationalstaat. Sofern das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 83, 37 ff.) zur gegenteiligen Auffassung gelangt, handelt es sich um „eine kühne Behauptung“ (Meyer, ebd., Rn. 7), die im Widerspruch zum Wortlaut steht. Denn dort ist dem Begriff „Volk“ gerade nicht das Adjektiv „deutsch“ beigefügt worden. Folgt aus Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG damit gerade keine Festlegung des Kreises der Wahlberechtigten auf deutsche Staatsangehörige, steht auch die sogenannte Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Absatz 3 GG einer Einbeziehung in den Kreis der auf Bundesebene Wahlberechtigten durch Änderung des Artikels 38 Absatz 2 GG nicht entgegen.
Mit der Änderung des Art. 28 Absatz 1 GG vom 21. Dezember 1992 wurde Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union die Teilnahme an Kommunalwahlen ermöglicht; auch das Bundesverfassungsgericht hielt dies mit Art. 79 Abs. 3 GG für vereinbar. Der Grundsatz, dass nur deutsche Staatsangehörige wahlberechtigt und wählbar sein könnten, wurde damit bereits durchbrochen. Die genauere Bestimmung, wer zur Wahl zugelassen werden soll und wer als zum „Volk“ dazugehörig betrachtet wird, ist nicht unabänderlich und unterliegt gesellschaftlichen Wandlungen.
Auch die Bundesregierung erklärte in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. im März 2007 (Bundestagsdrucksache 16/4666, Frage 1), dass nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts von 1990 die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig sei, auch wenn dies wegen der qualifizierten Mehrheitsanforderungen nach Art. 79 Absatz 2 GG „nur im parteiübergreifenden Konsens“ möglich sei. Der Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen befand in seinem Urteil vom 31. Januar 2014 (St 1/13), dass eine weitere Ausweitung des Wahlrechts auf nicht-deutsche Staatsangehörige durch Änderung des Grundgesetzes möglich sei.

Petitum:
Vor diesem Hintergrund fordert die Bezirksversammlung Hamburg-Nord den Senat auf eine Bundesratsinitiative anzustoßen, mit dem Ziel das aktive und passive Wahlrecht für die hier lebenden Nicht-EU-Ausländer mindestens auf der kommunalen Ebene im Grundgesetz zu verankern.
Lars Buchmann, Deniz Celik, Karin Haas, Rachid Messaoudi, Angelika Traversin