Wohnen muss dauerhaft leistbar sein!

Herbert Schulz
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Ein Plädoyer von Herbert Schulz für einen gemeinnützigen Sektor in der Wohnungswirtschaft

Allmählich, nicht zuletzt durch den bevorstehenden Wahlkampf, beginnt eine öffentliche Debatte zu diesem Thema, das bisher nur einige Experten beschäftigt hat. Worum geht es?

Es geht um die (Wieder-)Einführung eines gemeinwohlorientierten Non-Profit-Sektors in der Wohnungswirtschaft, der auf der Grundlage bundesgesetzlicher Regelungen besonders privilegiert bzw. gefördert wird, um sein Ziel zu erreichen: die Erstellung, Bewirtschaftung und Erneuerung von Wohnungen zu dauerhaft leistbaren Mieten auch für Menschen mit niedrigen Einkommen durch die strikte Zweckbindung der Einnahmen und eine Gewinnbeschränkung (Neue Wohnungsgemeinnützigkeit). Nur so kann das Prinzip »einmal gefördert, immer gefördert« (eine Sozialwohnung bleibt eine Sozialwohnung) verwirklicht werden.

Herbert Schulz ist Mitglied LAG Wohnen und Mieten der LINKEN in Hamburg.

Das Wort leistbar bezieht sich hier von vornherein auf das Verhältnis der Miete zu den Haushaltseinkommen und bringt besser zum Ausdruck als der Begriff bezahlbar, worum es geht. Auch Menschen mit niedrigem Einkommen müssen sich eine moderne Wohnung leisten können. Darum geht’s.

In den letzten gut 25 Jahren seit Abschaffung der Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft (Steuerreform 1990) hat sich die Lage auf den Wohnungsmärkten für Menschen mit niedrigem Einkommen kontinuierlich verschlechtert. Von der Abschaffung der Gemeinnützigkeit 1990 waren ca. 8 Mio. MieterInnen betroffen. Und als Folge davon gab es in den Jahren danach eine wahre Privatisierungsorgie. Riesige Bestände ehemals gemeinnütziger Unternehmen, aufgebaut mit erheblichen Steuermitteln, wurden verkauft. 35.000 Wohnungen der Gagfah, ca. 100.000 Feba-Wohnungen und noch etliche andere ähnlich große Bestände. Später kamen umfangreiche Verkäufe durch den Bund und in Berlin und Dresden dazu, aufgekauft durch Finanzmarktakteure, vulgo »Heuschrecken«. Die »neue Wohnungswirtschaft« (z.B. Firmen wie die Vonovia, früher Deutsche Annington, der 400.000 Wohnungen gehören) besteht zu nahezu 100% aus den ehemaligen gemeinnützigen Beständen. Der Neue-Heimat-Skandal war damals nur der Anlass, Ziel war die Vermarktung des gemeinnützigen, mit viel Steuergeld geschaffenen Immobilienvermögens, das dann zu günstigen Preisen mit großem Werterhöhungspotenzial und goldenen Renditeaussichten verhökert wurde. Ausbaden mussten und müssen diese Politik die MieterInnen.

Bundesweit fallen jährlich ca. 80.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Der soziale Wohnungsneubau im gegenwärtigen Volumen kann das nicht ansatzweise ausgleichen. Der Bestand an leistbaren Wohnungen nimmt also kontinuierlich ab. Das ist auch in Hamburg so. Der sogenannte Drittel-Mix des Senats (30% aller zu bauenden Wohnungen sollen öffentlich geförderte Sozialwohnungen sein) kann den Wegfall der Sozialbindungen bei Weitem nicht kompensieren, selbst wenn dieses Ziel erreicht würde. Das Missverhältnis zwischen dem Bedarf an leistbaren Wohnungen und dem Angebot wird so immer größer.

Über die damit einhergehende Verdrängung von MieterInnen ist schon viel geschrieben worden. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Die Miete macht bei einem immer größer werdenden Anteil der Haushalte schon 50% des Haushaltseinkommens aus. StadtsoziologInnen machen mittlerweile eine relativ neue Erscheinung in den Ballungsgebieten aus: Das systematische Überbelegen von Wohnungen, um diese Belastungen tragen zu können. Es handelt sich also um ein durch die Wohnungsnot erzwungenes Zusammenrücken.

Seit einigen Jahren wird nun die Devise »Bauen, Bauen, Bauen « ausgegeben. Damit kann das Problem der Unterversorgung mit leistbarem Wohnraum aber nicht gelöst werden. Der sogenannte Trickle-down-Effekt (mehr Wohnungen im hochpreisigen Segment führen zum Freiwerden von Wohnungen im unteren Segment) ist ein Märchen. Es gibt keine empirischen Belege für diese Behauptung. Und das ist auch ganz logisch, solange Angebot und Nachfrage nach leistbaren Wohnungen nicht annähernd im Gleichgewicht sind. Und davon kann in den Ballungsgebieten keine Rede sein.

Man kann aber mal fragen, wieso ab Mitte der 1990er Jahre der allgemeine und in den 2000er Jahren der soziale Wohnungsneubau immer weiter zurückging und letzterer fast zum Erliegen kam. Eine Tatsache, die auch vom SPD-geführten Senat immer wieder beklagt worden ist mit Verweis auf die Versäumnisse der CDU-geführten Vorgängersenate. Dieser Rückgang hatte zwar auch politische, in erster Linie aber ökonomische Gründe. Es war ja nicht so, dass in dieser Zeit in der Wohnungswirtschaft nicht investiert wurde. Es wurden sogar glänzende Geschäfte gemacht. Des Rätsels Lösung: Von den Vermietern wurden die Mieten im Bestand als sehr niedrig eingeschätzt und es wurde von einem erheblichen Mieterhöhungspotenzial ausgegangen. Entsprechend wurde im Bestand gekauft und verkauft und die Mieten erhöht, ob mit oder ohne Modernisierung. Ertragserwartungsspekulation ist der Begriff, mit dem diese Vorgänge beschrieben werden können. Wir haben es hier also mit einem krassen Marktversagen im Wohnungssektor zu tun.

Im selben Zeitraum ging, wie schon erwähnt, der Bestand an Sozialwohnungen rapide zurück. Gleichzeitig wurden aber immer noch öffentliche und kommunale Wohnungsbestände im großen Stil verkauft bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Haushalte. Wenn schon die viel gelobten Marktkräfte in der Wohnungswirtschaft versagen, so hätte zumindest die Politik das Problem erkennen können und müssen, um gegenzusteuern. Aber weit gefehlt. Im neoliberalen Denken standen Privatisierungen höher auf der Agenda als die soziale Wohnraumversorgung. Ein klarer Fall von Staatsversagen also.

Für die soziale Wohnraumversorgung gibt es in Deutschland das Instrument der befristet geförderten Sozialwohnung (Objektförderung). So richtig es ist, mehr Sozialwohnungen zu fordern und auch zu bauen, greift dieses wohnungspolitische Instrument zu kurz. Alle Instrumente der Objektförderung sind zeitlich befristet. Früher im Regelfall 30 Jahre, heute normalerweise nur 15 Jahre. Sie bedeuten eine permanente Subventionierung privater Bauherren mit immer nur vorübergehender Wirkung für die MieterInnen. Es ist das Modell der sozialen Zwischennutzung von Wohnungen, die für den Markt gebaut werden. Dauerhaft leistbare Wohnungen entstehen so nicht. Dies würde einen eigenständigen (gemeinnützigen) Sektor erfordern, dessen einziger wirtschaftlicher Zweck das dauerhafte zur Verfügung stellen leistbaren Wohnraums für Menschen mit geringem Einkommen ist.

Noch offensichtlicher ist dieser Subventionierungsmechanismus, der keinen dauerhaft leistbaren Wohnraum schafft, bei der Subjektförderung, z.B. dem Wohngeld. Das Wohngeld und die Kosten der Unterkunft von Menschen, die von Transferleistungen abhängig sind, machen jährlich insgesamt 17 Mrd. Euro in Deutschland aus! Natürlich sind das Wohngeld und die Kosten der Unterkunft von existenzieller Bedeutung für die betroffenen Mieterinnen und Mieter, und sie müssen unbedingt angehoben werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Mittel den MieterInnen zufließen, aber auf den Konten der Vermieter landen. Der Staat übernimmt einen Teil der Miete, um die Last der hohen Marktmieten erträglich zu machen. Besser wäre es, diese Mittel in einen gemeinnützigen Wohnungssektor zu investieren. Das kann allerdings nur sehr allmählich passieren.

Interessant ist hier aber das Beispiel Österreich. In Wien sind 42% des Wohnungsbestands gemeinnützig gebunden, dort gilt das Prinzip einmal gefördert und gebunden, immer gebunden. Die Gemeinnützigkeit ist in Österreich gesetzlich verankert. Dort zeigt sich die strategische Bedeutung dieses Sektors durch Ausstrahlung auf den gesamten Wohnungsmarkt. Dort gibt es auch im frei finanzierten Segment noch vergleichsweise günstigen Wohnraum. Und als Folge davon sind nur in relativ geringem Maße Zahlungen von Wohngeld oder ähnlichen staatlichen Transferleistungen nötig.

Mittlerweile gibt es in der Wissenschaft (Autoren wie Jan Kuhnert, Andrej Holm u.a.) seriös durchgerechnete Beispiele, wie die Kosten (Grunderwerbskosten, Baukosten, Finanzierungskosten etc.) für die Erstellung leistbarer Mietwohnungen reduziert werden könnten, wenn die besondere Privilegierung für Gemeinnützige greift. Neben günstiger Zurverfügungstellung von Flächen (kein Verkauf, sondern Vergabe in befristeter Erbpacht z.B.) und günstigen Krediten kommt auch die Umsatzsteuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsgesellschaften in Betracht. Auf diese Weise ließe sich bei gegebenem Preisniveau die Miete pro Quadratmeter auf bis zu vier Euro netto kalt reduzieren. Es ginge, wenn der politische Wille da wäre. Der Staat müsste lediglich auf Einnahmen verzichten, um die Entstehung eines Bestands an leistbarem Wohnraum zu fördern.

Bei historischer Betrachtung zeigt sich, dass privater Wohnungsbau unter kapitalistischen Bedingungen noch nie Wohnungen für niedrige Einkommen gebaut hat (Ausnahme Werkswohnungen). Und das unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Verzinsung des Eigenkapitals und ganz ohne die Annahme irgendwelcher märchenhafter Profite. Märkte sind nun einmal sozial blind. Daher entstand schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Gemeinnützigkeitsgedanke, der bis 1990 Bestand hatte und bis dahin auch erfolgreich praktiziert worden ist.

Fazit:

Soziale Wohnraumversorgung muss eine öffentliche, insbesondere städtische und kommunale Aufgabe sein, für die es einen gesetzlichen Auftrag gibt. Öffentliche Wohnungsgesellschaften, aber auch Genossenschaften sind besonders gefordert, wenn es um den realen Aufbau eines neuen gemeinnützigen Sektors geht, sobald die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind.

Die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau ist dem neoliberalen Umbau seit den 1980er und 90er Jahren zum Opfer gefallen. Jetzt, nach fast 30 Jahren neoliberaler Hegemonie des politischen Denkens, ist es an der Zeit, sie zurückzuerobern. Von den Parteien haben sich DIE LINKE und die GRÜNEN dies auf die Fahnen geschrieben. Die SPD ziert sich noch. Ob dort ein Umdenken möglich ist, ist zurzeit offen. Kämpfen wir also um gesellschaftliche und politische Mehrheiten für die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft.


Dieser Beitrag wurde dem Bürger_innenbrief H. Sudmann / Chr. Schneider (beide MdHB, DIE LINKE) vom 16.05.2017 entnommen.